Mittwoch, 27. November 2013

Der Geistliche Vater und wie ich den richtigen finde - Teil 2


Wenn ein Mensch in einem vorhandenen Priester seinen Geistlichen sieht, wie sollte man sich in diesem Fall äußern? Sollte man zu ihm gehen und ihn direkt mit so einer Frage konfrontieren?
Wissen Sie, wenn Menschen zu mir kommen, und mich danach fragen ob ich ihr geistlicher Vater werden will, dann antworte ich sofort, dass ich es versuchen kann ihr Priester – sozusagen Geistlicher, bei dem sie ständig beichten werden, zu sein. Sie werden zur Beichte kommen, aber was dabei herauskommt, das weiß man nicht. Aber der geistliche Vater zu sein - das kann ich ihnen nicht versprechen, weil ich eine derartige Erfahrung nicht besitze. Schließlich weiß ich nicht wie meine Gemeindemitglieder mich von außen sehen: Ich habe Gemeindemitglieder, die bei mir schon viele Jahre lang die Beichte ablegen. Aber ich weiß nicht für welche von ihnen ich ein geistlicher Vater bzw. Geistlicher bin. Es scheint mir so, dass ich mich wie ein Geistlicher verhalte, wobei während dieser vielen Jahre ein tiefes zwischenmenschliches Verhältnis (mit meinen Gemeindemitgliedern) entstanden ist. Aber wer von ihnen mich jetzt als geistlichen Vater bezeichnet, das kann ich nicht wissen, denn die Menschen empfinden das vielleicht besser als ich dies empfinde. Das ist so, weil man einfach auf einen Priester zugehen und ihn fragen kann. Aber man sollte nicht einfach sagen: „Werden Sie mein geistlicher Vater.“Aber vielleicht werde ich ihnen ja immer die Beichte abnehmen, vielleicht werde ich ihr Geistlicher werden.
Aber wenn es dennoch zu der Situation kommt, dass die Beziehung zu einem bereits auserwählten Priester nicht sofort harmoniert, und man zufällig einen anderen Priester kennen lernt, bei dem man das Gefühl hat dieser könnte einem selbst auch mehr geben, kann man dann zu diesem anderen Priester gehen? Und sollte man darüber sprechen?
Wie ich bereits sagte, das Element „Persönlichkeit“ hat eine große Bedeutung für das Verhältnis zwischen einem Geistlichen und einem in der Welt lebenden Menschen (Gläubigen). Denn hier ist Weisheit und Fingerspitzengefühl unabdingbar, weil die Gefahr besteht den bisher auserwählten Priester durch so ein Verhalten zu beleidigen. Im Prinzip kann man von einem Priester zu einem anderen Priester gehen, wenn es dafür einen Bedarf gibt. Und eine offen Aussprache ist auch möglich. Verstehen Sie, hier gibt es überhaupt keine Regel. An dieser Stelle ist ein individueller Zugang unabdingbar. Man sollte nur herausfinden, was genau hier richtig ist. Das Christentum kann uns nicht die Freiheit nehmen. Viele Christen würden sich wünschen auf diese schwierige aber gleichzeitig gnadenvolle Gabe – die Freiheit – zu verzichten und sich in den Bedingungen einer strengen Kontrolle wieder zu finden. Aber das ist falsch. Denn ein Christ ohne Freiheit ist etwas Unvorstellbares.

Erlauben Sie mir bitte eine weitere Frage hierzu: Ich habe einen Geistlichen gefunden und möchte bei ihm die Beichte ablegen. Dabei habe ich aber eine Menge unwichtiger und wichtiger Fragen, die ich mit ihm besprechen muss, so dass ich zuerst ein informelles Gespräch mit ihm benötige. Denn bei der Beichte fällt mir das Reden schwer: Ich schaffe es nicht alles zu sagen. Und ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Fragen zuerst zu meinem Geistlichen gehen sollte, um ihn um Rat zu bitten. Aber nach der Liturgie haben viele Gläubige dasselbe Bedürfnis mit dem Geistlichen zu sprechen. Und oft denke ich mir dabei: „Ja, der alte Priester ist so überlastet.“ Oder: „Es ist das Beste ich komme ein anderes Mal wieder zu ihm.“ Wie soll man da eine Beziehung zu seinem Geistlichen aufbauen?Menschen verwechseln oft die Beichte und das geistliche Gespräch. Für die Beichte sollte man sich vorbereiten, damit man während der Beichte klar und konkret seine Gedanken aussprechen kann. Die Beichte sollte einfach vor sich gehen, so wie ein Gespräch mit einem Priester. Dabei sollte man nicht das eine mit dem anderen vermischen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass bis zum 17. Jahrhundert die Christen in der russischen Kirche mehrmals pro Jahr die Beichte ablegten, und dass die Priester sich freier verhalten konnten. 
Wohingegen es heute z.B. in der griechischen und serbischen Kirche so ist, dass erstens nicht alle Priester die Beichte abnehmen, und dass zweitens die Menschen nicht vor jedem Sakrament der Heiligen Eucharistie beichten. Das ist sehr viel seltener, als dies bei uns (in Russland) der Fall ist. Aber deswegen sprechen sie öfter mit ihrem Priester als wir bei der Beichte. Denn bei uns wird mit dem Priester ausschließlich bei der Beichte gesprochen. Der Mensch geht mit all den Dingen, die sich in seiner Seele angesammelt haben, zur Beichte. Dabei kann er selbst nicht so intensiv bereuen, ohne dabei andere aufzuhalten. Das ist das Problem!
Aber es existiert noch ein anderes Problem. Oft fühlen sich nicht nur Frauen sondern auch manchmal Männer von einem Priester angezogen, wobei dies bei Frauen häufiger der Fall ist. Dabei empfinden diese den Priester einfach als angenehmen geistlichen Gesprächspartner bzw. als eine angenehme Persönlichkeit. Da kommt es manchmal zu extremen Ausprägungen: Insbesondere dann, wenn man von bekannten Priestern spricht. Wenn der Priester den Gottesdienst beendet hat, dann sitzen die weiblichen Gemeindemitglieder da und warten auf ihn mit folgenden Gedanken: „Der Priester wird kommen. Wir warten auf ihn. Vielleicht wird er uns etwas sagen. Vielleicht wird er sich an uns wenden und uns auf die Schultern klopfen oder uns über den Kopf streichen. Was hat das zu bedeuten.(…)“ Dabei sitzen ihre Ehemänner alleine zu Hause, die vernachlässigten Kinder spielen um die Kirche herum Ball, aber sie warten auf ein Gespräch mit dem Priester. Das ist nur die Psycholigisierung des Verhältnisses: Wenn die Freude, die vielleicht nicht durch ein geistlich geführtes Leben verstärkt ist, über das Gespräch mit der erwarteten Person alles andere kompensiert. Das sollte man vermeiden. Man kann im Laufe der Zeit gegenüber seinem Geistlichen eine echte christliche Liebe entwickeln. Aber am Häufigsten erkennen wir (Anm.: Geistliche/ Priester) mit den Menschen irgendwelche natürlichen seelisch-emotionalen Impulse als Liebe an. Man sollte sich nicht zuerst nach der Persönlichkeit des Priesters richten, sondern vor allem danach wie sehr er dir als Christen in deiner Entwicklung weiterhelfen kann. Man sollte es sich selbst nicht einfach machen, (….). Man sollte sich selbst nicht durch rein menschliche Qualitäten schmeicheln.
Aber wenn ich eine wichtige Frage habe, wie es z.B. der Wechsel zu einem neuen Arbeitsplatz ist? 
Ich empfehle es zu einem Gespräch und zu einem geistlichen Vortrag zu kommen. Die Wichtigkeitsstufe der Frage wird ein Christ selbst beurteilen können. Noch eine weiterer Punkt ist wichtig: Viele Priester führen die Menschen gerne sehr rigeros: (Nach dem Motto) So und auf gar keinen Fall anders. „Lass es uns zusammen lösen, lass uns darüber beratschlagen“, das ist die richtige Herangehensweise. Man kann sie wie eine Art nicht appelierender Befehl beschreiben. „Ich segne Dir es, dass Du so oder so weitere Schritte machst“, diese Vorgehensweise akzeptiere ich nicht.
An dieser Stelle sollte man noch betonen, dass alles von Gott abhängt. Aber man sollte sich so verhalten, wie wenn alle Dinge von einem selbst abhängen würden. Ebenso sollten wir mit Gott zusammenarbeiten, und nicht die Benutzer seiner gnadenvollen Kräfte sein.
Heute verlangen die Menschen oft den Segen für alle Dinge, für alles Mögliche. Was ist das ein Segen, und wann ist dieser unabdingbar und wann nicht?
In dem Moment, in dem wir den Segen suchen, möchten wir den Willen Gottes über uns selbst und über unser Leben sowie über einige unserer Gedanken erfahren. Sogar wenn wir nur den Willen Gottes kennen und erfüllen würden, würde man gegenüber Gott nie sündigen, zu diesem Schluss könnte man kommen. Wenn wir annehmen, dass der Segen – eine Erfahrung dafür ist den Willen Gottes zu erkennen und dafür, dass er sich erfüllt – dann ist verständlich, dass das häufige Bestreben den Segen auf unterschiedliche Weisen zu erhalten der Anfang einer Profanierung des Segens ist. Trotzdem sind uns die grundlegenden Wahrheiten der christlichen Lehre sehr gut bekannt.

Wenn wir Christen sind, dann ist es all uns Christen gesegnet unser Leben auf eine christliche Art und Weise zu führen sowie den Herrn und unsere Nächsten zu lieben. Gleichzeitig kommt es im Alltag zu der ein oder anderen Situation, einer Begegnung oder zu Problemen, in denen es uns sehr schwer fällt die christlichen Lösungen/Antworten dafür zu erkennen. In diesem Fall wenden wir uns zuerst an den Priester, damit er uns einen Segen für die ein oder andere christliche Lösung dieser Alltagssituationen gibt. Deswegen sind wir dazu verpflichtet zu Gott zu beten, damit Er hilft Seinen Willen zur Lösung eben dieser konkreten Alltagssituation zu entdecken, wobei wir diesem Priester Vertrauen sollten. Und das Wichtigste dabei ist:  Wir sollten darauf vorbereitet sein, damit der Segen, den wir bekommen haben, sich erfüllt. Wenn man diese Bedingungen respektiert, d.h. wenn der Christ am Anfang so denkt –  so wird er seltener nach einem Segen verlangen. Und wenn er den Segen bekommt, dann wird er ihn bedingungslos erfüllen.

Eine Bekannte von mir, die Psychologin ist, betrachtet die Gespräche, die man mit einem Geistlichen führt, als etwas sehr positives. Aber sie sieht darin nur einen von mehreren Wegen, die der Mensch als Psychologe in seinem Leben findet. Die einen gehen zu Trainings, die anderen zu Therapien beim Psychotherapeut und andere wiederum in die Kirche zum Geistlichen (…).
Es ist offensichtlich und sehr gut, dass die Psychoanalyse Menschen dabei hilft sich von ihren geistlichen Traumen zu erlösen, wenn jemandem Psychoanalytiker helfen können. Ich stelle fest, dass die Psychoanalyse bei den Protestanten und in sekularisierten Ländern verbreitet ist. D. h. die Funktion der Beichte wird von der Psychoanalyse übernommen. Der Psychoanalytiker tritt hier – aber nur im formalen Sinne - als ein Geistlicher auf. Das psychotherapeutische Element exisitiert ebenso bei der Beichte, genauso und bedingunslos wie in einer psychoanalytischen Seance. Während der Mensch über Probleme, die ihn selbst belasten, spricht, lädt er diese Last von sich ab. Und da hört die Psychoanalyse auf. Aber die Geistlichen gehen hier weiter. Von einer Seite aus betrachtet kann man sogar sagen, dass während man sich im Gespräch mit dem Priester - der einen versteht - der Last entledigt, fühlt dieser mit einem mit. Und andererseits bekommt der Christ bei der Beichte das was man während der Zeit einer Seance beim Psychotherapeuten nicht bekommt: Die erbarmungsvolle Hilfe vom Herrn, die man durch das Sakrament der Reue erhält. Das Bereuen der Sünde, welches in der Kirche geweckt wird, führt zu keinem bedingten psychologischen sondern zu einem bedingungslosen ontologischen Verzeihen der Sünde in der Ewigkeit des Verzeihens der Sünde von Seiten Gottes. Die Psychoanalyse ist ein Surrogat der Beichte. Das heißt nicht, dass diese schlecht ist. Es ist einfach so, dass man nicht bei diesem Niveau aufhören sollte.

Es gibt Fälle, in denen ein Mensch für sich selbst jahrelang keinen Geistlichen finden kann, auch wenn er ihn sucht. Aber es gibt auch Christen, die bewusst so einen Austausch mit dem Priester meiden, weil sie Angst haben irgendwelche strengen Bedingungen, die ihnen auferlegt werden, nicht erfüllen zu können.
Um einen ehrlichen Umgang mit einem Geistlichen zu pflegen bedarf es einer großen innerlicher Anstrengung eines Menschen. Nun diese Anstrengungen wollen die Menschen häufig nicht investieren. Bewußt meiden sie diese Bemühungen und schaden sich selbst dadurch. Schließlich ist der Mensch als erstes dazu verpflichtet streng gegenüber sich selbst zu sein. Und es ist nicht die Aufgabe eines Geistlichen wie ein Exekutor zu wirken. Die Führung durch einen Priester sollte mit Fingerspitzengefühl aber gleichzeitig konsequent sein. Wenn die Menschen es vermeiden geistlich geführt zu werden, nur weil sie selbst dadurch zu sehr eingenommen werden, wie werden sie selbst dann ihre Verpflichtungen vor Gott erfüllen? Das ist nicht nur eine Sünde, sondern es beschränkt einen selbst darin ein intensives geistliches Leben zu führen. Deswegen sollte man diese Angst überwinden. Vielleicht steckt hinter dieser Angst die unglückliche Erfahrung mit einem jungen Pseudo-Ältesten, der den Menschen am Anfang mit rigerosen Forderungen eingegrenzt und praktisch zurückgeschreckt/ abgewendet hat. In diesem Fall kann man nur eins raten: Man sollte wieder einen anderen Priester suchen.

So kommt man zum Schluss, dass für die geistliche Weiterentwicklung eines Christen ein Geistlicher unbedingt notwendig ist?
Ich würde sagen, dieser ist sehr wünschenswert. Hier eine Analogie zu weiteren Erklärung: Man kann sich selbst ausbilden oder sich in der Schule ausbilden lassen. Die Erfahrung zeigt, dass in der Mehrheit der Fälle diejenige Ausbildung, die man in der Schule nach einem bestimmten System erhalten hat, besser ist als das Wissen, dass man sich selbst angeeignet hat. Ja, es gibt auch solche genialen Menschen, die in dem sie sich selbst ausbilden mehr erreichen, aber sehr oft passiert das Gegenteil. Aber die Kirche – das ist ein bestimmtes System und die Diener der Kirche – das sind die Menschen, die dazu aufgerufen sind dem Menschen schneller zu helfen, damit diese auf dem Weg des geistlichen Fortschrittes schneller vorankommen. Deswegen hat der Christ größere Chancen für seine geistliche Entwicklung in der Gegenwart eines Geistlichen als in seiner Abwesenheit.

Artikel aus dem Journal Foma, Interview mit Protojerej Georgij Mitrofan.
Übersetzung aus dem Russischen: Mag. Ž. Mančić
Übersetzung aus dem Serbischen: A. Stefanović


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